Empfehlungen für den rheinland-pfälzischen Katastrophenschutz

Nach Ende der Beweisaufnahme und Abschlussitzung im Untersuchungsausschuss: Wefelscheid erkennt Defizite im Katastrophenschutz

Der Untersuchungsausschuss Flutkatastrophe des Landtag Rheinland-Pfalz ist nach 46 Sitzungen und der gestrigen Bertaungssitzung des Abschlussberichts beendet. Die Beweisaufnahme zur rechtlichen und politischen Verantwortung der Landesregierung, ihrer nachgeordneten Behörden sowie aller sonstigen öffentlichen Stellen hierfür, haben für den Obmann der FREIEN WÄHLER, Stephan Wefelscheid (Foto), Aspekte grundsätzlicher Art, insbesondere Defizite im rheinland-pfälzischen Katastrophenschutzsystem, offenbart. Obmann Wefelscheid hat seine Erkenntnisse in einem Empfelhungskatalog für den rheinland-pfälzischen Katastrophenschutz festgehalten. Diese Aspekte erstrecken sich auf die Ebenen von Land und Kommune und deren Zusammenspiel, sei es bei Struktur- oder Verfahrensfragen:

1. Vorbereitende Strukturmaßnahmen

Regenrückhaltebecken und Wassersammeltanks

Es braucht Regenrückhaltebecken auch außerhalb von Besiedlung, insbesondere in höhergelegenen Lagen, die geeignet sind, Wassermassen aufzufangen, damit Sturzfluten verhindert werden können. Auch in ländlichen Gebieten sind unterirdische Wassersammeltanks sinnvoll, welche zudem auch zur Wasserbereitstellung genutzt werden und somit je nach Einsatzgebiet auch den Grundwasserspiegel schonen könnten.

 Katastrophenschutzzentren

Die Beweisaufnahme hat gezeigt, dass unterschiedliche Standards in den Katastrophenschutzzentren vorherrschen. So ist das Zentrum in Bitburg-Prüm in Ausstattung und Kapazität mit dem in Ahrweiler nicht zu vergleichen. Es muss ein landeseinheitlicher Standard zur Einrichtung und Ausstattung der Katastrophenschutzzentren geschaffen und die Kommunen dazu in die Lage versetzt werden, diesen auch zu erreichen.

Verklausungskonzepte

Die Beweisaufnahme hat gezeigt, dass in den Kommunen unterschiedliche Sensibilisierungsgrade bezüglich des Themas Verklausung bestehen. Dies reicht im Konkreten von Kommunen, die vor Brücken Einsatzfahrzeuge mit Greifarm vorhalten, die Verklausungen bereits im Entstehen beseitigen (beispielsweise in Mayen an der Nette), bis hin zu Drahtseilspannungen in Steilhanglagen, die bei Starkregenereignissen Baumstämme davon abhalten, in die Flüsse zu geraten. Für die Zukunft bedarf es hier landeseinheitlicher Standards. Brückenneubauten dürfen nur noch so erfolgen, dass sie dem Abfluss eines HQ100 gewachsen sind.

Gewässerunterhaltung/Gewässerschauen

Das Spannungsfeld Naturschutz/Renaturierung vs. Gefahrenabwehr muss gelöst werden. Dabei dürfen Naturschutz/Renaturierung nicht zu einem Risiko für die Sicherheit der Bevölkerung werden. Eine stetige Überwachung und Fortschreibung ist hier geboten.

Erkenntnisse aus bisherigen Extremereignissen (HW 1804, 1910, 2016)

In den Alarm- und Einsatzplänen, aber auch in sonstigen Handreichungen und Dienstvorschriften müssen die Erkenntnisse aus früheren Hochwasserereignissen, also auch aus den historischen Extremereignissen 1804 und 1910, Berücksichtigung finden.

LBKG (Handlungs- und Dienstanweisungen, Einsatzleitung des Landes, Rechts-/Fachaufsicht)

Es müssen einfache Zuständigkeiten geschaffen werden, die auch seitens des Landes der gebotenen Aufsicht unterliegen. Die Pflicht zur Aufstellung von Alarm- und Einsatzplänen        (§§ 3 ff. LBKG) muss auch kontrolliert und im Zweifelsfall sanktioniert werden können. Die Beweisaufnahme hat gezeigt, dass die derzeit bestehende Rechtsaufsicht des Landes hier nicht ausreichend ist und es auch einer Fachaufsicht bedarf.

Zudem müssen die Regelungen des LBKG überarbeitet und modernisiert werden. Insbesondere der „Streit“ zwischen den Rechtsgelehrten hat gezeigt, dass die Regelung zur Zuständigkeit des Landes nach § 6 Nr. 1 i.V.m. § 2 LBKG dringend reformiert werden muss. Es müssen klare Regelungen existieren, welcher Träger wann zuständig ist im Brand- und Katastrophenschutz. Flankierende Handlungs- und Dienstanweisungen für den Einsatzfall würden hier zusätzlich Rechtssicherheit bieten.

Fortschreibung von AEP/RAEP und Bedarfsplänen

Die unter Federführung des MdI entwickelten Rahmen-, Alarm- und Einsatzpläne (RAEP) für verschiedene Gefahrenlagen müssen in regelmäßigen Abständen aktualisiert und fortgeschrieben werden. Damit einhergehend muss auch eine stetige Überprüfung hinsichtlich neuer Gefahrenlagen, z.B. auch Erdbebengeschehen oder Vulkanausbrüchen, erfolgen. Die Kommunen müssen ebenfalls die in ihrem Gebiet drohenden Gefahrenlagen identifizieren und mit entsprechenden Plänen auf präventiver Ebene Vorsorgemaßnahmen treffen. Denn mit der Aufstellung von Alarm- und Einsatzplänen wird im Vorfeld definiert, wie im Ereignisfall zu verfahren ist. Im Bedarfsfall kann dann der Plan aus der Schublade gezogen und abgearbeitet werden.

Evakuierungsplanungen/-konzepte

Für jeden Kreis müssen Pläne und erprobte Konzepte für Evakuierungen und Räumungen im Katastrophenfall entwickelt und in die Praxis eingeführt werden. Ohne eine sich daraus ergebene Priorisierung von Schutzgütern und von vulnerablen Gruppen kann bei einer Großschadenslage nicht zielgerichtet reagiert werden.

2. Meldewege und Verfahren

Integrierte Leitstellen

Wie die Flutkatastrophe gezeigt hat, ist der direkte und beständige Austausch zwischen ILS und TEL enorm wichtig für die Weitergabe relevanter Informationen und die Aktivierung entsprechender Kräfte. Hier ging in der Flutnacht viel Potenzial verloren, weswegen ein Kontaktmann aus der TEL des jeweils bei Katastrophen betroffenen Gebietes möglichst in der ILS anwesend sein sollte. Dieser kann aufgrund seiner Orts- und Fachkenntnis eingehende Informationen einordnen und die ILS somit zielgenau bezüglich benötigter Kräfte und Ressourcen beraten sowie die TEL über das aktuelle Lagebild informieren.

Aktivierung MoWaS (und weiterer Warn-Apps wie KATWARN und NINA, inkl. Testumgebung)

Um eine schnelle und effektive Warnung der Bevölkerung zu ermöglichen, muss die Aktivierung des Modularen Warnsystems (MoWaS) vereinfacht und da ermöglicht werden, wo die Informationen zusammenlaufen. Daher muss jemand, der direkt in Verbindung mit der jeweils zuständigen TEL steht (bestenfalls ein Mitglied der TEL) bei der zuständigen Integrierten Leitstelle vor Ort sein um eine schnellstmögliche Aktivierung sicherzustellen.

Eine Versendung von Formularen mittels Fax, die zuvor erst ausgedruckt und ausgefüllt werden müssen, ist überdies nicht mehr zeitgemäß. Hier ist eine flächendeckende Digitalisierung des Systems dringend geboten. Damit einhergehend müssen die Aufgabenträger angemessen im Umgang mit den Warnsystemen und deren Verknüpfung geschult und diese fortgeschrieben werden.

Informationsaustausch/ Meldeketten/Ressortabstimmungen

Das Informationschaos bzw. die unterbrochenen Meldeketten und unklaren Zuständigkeiten bei den verschiedenen Ministerien und Landesbehörden wie LfU, SGD, MKUEM, ADD und MdI müssen bei zukünftigen Katastrophenlagen unbedingt vermieden werden. Daher müssen Zuständigkeiten noch klarer geordnet und kommuniziert sowie die zuständigen Spitzenbeamten noch gezielter auf den Katastrophenfall vorbereitet werden. Die Einrichtung eines Landesamtes für Katastrophenschutz wird daher ausdrücklich begrüßt. Dieses kann als koordinierende und operative Schnittstelle dienen und sich optimal auf Katastrophenfälle vorbereiten. Zudem sollte bei absehbaren oder eintretenden Katastrophenlagen, bei denen die Tätigkeit des Landes notwendig werden könnte, ein Krisenstab der Landesregierung einberufen werden um im Bedarfsfall schnellstmöglich jede verfügbare Hilfe und Kapazität auch aus anderen Bundesländern, vom Bund und ggf. auch international abrufen zu können.

Fachexpertise vor Ort für Interpretation von Prognosen, Karten und Daten

Mit der Aufgabe des Katastrophenschutzes betraute Personen vor Ort, ob im Haupt- oder Ehrenamt, müssen in die Lage versetzt werden, Informationen wie Pegel- und Wetterprognosen, Hochwassergefahrenkarten, Hochwasserrisikokarten und vergleichbare Daten nachvollziehen und interpretieren zu können. Einerseits bieten sich hierfür entsprechende Fortbildungen für Haupt- und Ehrenamtliche an. Andererseits sollten die BKI in den Kreisverwaltungen auf den aktuellen Wissenstand gebracht und in die Lage versetzt werden, umfassend die im Falle einer Flut eingehenden Informationen bewerten und entsprechende Handlungen ableiten zu können.

Rolle der ADD im Katastrophenschutz

Die Abläufe in der Fachabteilung und der gesamten ADD haben gezeigt, dass die bisherigen Strukturen einer Überarbeitung bedürfen. Der Bevölkerungs- und Katastrophenschutz darf angesichts seiner gesteigerten Bedeutung nicht ein Referat in einer gemischten Abteilung einer oberen Landesbehörde mit landesweiter Zuständigkeit sein. Hier gilt es, klare und besondere Strukturen zu schaffen. Die ersten Schritte hierfür sind mit Schaffung des Landesamts für Brand- und Katastrophenschutz gegangen worden.

Bestimmungen bezüglich der Mitglieder der TEL

Wer eine S-Funktion in der TEL eines Kreises hat, sollte nicht zeitgleich Wehrleiter in einem Kreis sein oder aufgrund anderer wichtiger Funktionen im Katastrophenfall absehbar nicht für eine Aufgabe in der TEL verfügbar sein.

Fachlaufbahn für Führungsaufgaben im Bevölkerungsschutz

Es braucht eine Fachlaufbahn für Führungsaufgaben im Bevölkerungsschutz sowohl im Ehren- als auch im Hauptamt, damit entsprechend Tätige für die zukünftigen Herausforderungen, die durch den Klimawandel in Schwere und Häufigkeit wohl zunehmen werden, gewappnet sind. Die Aufgabe des BKI muss mit hauptamtlichen Kräften besetzt sein, um der besonderen zeitlichen und organisatorischen Rolle für den Katastrophenschutz gerecht zu werden.

Katastrophenschutzübungen

Zum Zweck der Steigerung der Resilienz und Selbsthilfefähigkeit der Bevölkerung müssen, wie beispielsweise in Japan üblich, Katastrophenfälle wie Extremhochwasser mit den Menschen geprobt und somit auch ein Bewusstsein für das richtige Verhalten geschaffen werden.

Verpflichtende Einrichtung Verwaltungsstab nebst Kontrollmechanismen (DV 100, FW-RL)

Wie die DV 100 vorschreibt, ist neben einem operativ-taktischen Stab, der TEL, auch ein administrativ-organisatorischer Stab, also ein Verwaltungsstab, einzurichten. Dieser ist zentral für das Funktionieren in der Krisenbewältigung und muss daher zwingend besetzt werden. Dies muss auch von übergeordneter Stelle kontrolliert und entsprechend eingegriffen und ggf. unterstützt werden, wenn kein Verwaltungsstab eingerichtet wurde.

Datenübertragung von Hubschrauberbildern/Videos von Hubschraubern zur Lagebeurteilung

Es bedarf dringend einer Überplanung der Kommunikationsstrukturen und -abläufe. Es muss zukünftig organisatorisch sichergestellt werden, dass solche brisanten Informationen wie Hubschrauberaufnahmen rechtzeitig vertikal ausgetauscht werden, sodass unter anderem Ministerien und Stabsstellen jederzeit die Möglichkeit eines aktuellen Lagebildes haben und entsprechend reagieren können.

Kooperation mit der Bundeswehr/Alarmierung der Bundeswehr

Die Beweisaufnahme und Vernehmung der Vertreter der Bundeswehr haben gezeigt, über welch wichtige Strukturen die Bundeswehr, auch für den Krisenfall, verfügt. Diese vorgehaltenen Strukturen gilt es im Bedarfsfall schnell und einfach abzurufen und die Kräfte zielgerichtet einzubinden.

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