Das, was ich vorige Woche am Donnerstag im Rechtsausschuss zum Thema „Luca-App“ hören musste, hat mich wirklich erschüttert – was zugegebener Maßen nicht wirklich oft vorkommt. Da erklärte uns nämlich der Justizminister Herbert Mertin, dass die Staatsanwaltschaften in Rheinland-Pfalz in der Bestimmung des §28a Abs.4 Infektionsschutzgesetz keine absolute datenschutzrechtliche Schranke für staatsanwaltschaftliche Ermittlungen sehe und dass zumindest bei Kapitalverbrechen die Staatsanwaltschaft im Einzelfall unter Abwägung der widerstreitenden Interessen auf die im Wege der Kontaktnachverfolgung in Gaststätten gesammelten Daten zu Ermittlungszwecken zugreifen dürfe!? Schließlich sei der Wille des Gesetzgebers nicht erkennbar, dass die Kontaktdaten nur zum Zwecke der Pandemiebekämpfung genutzt werden dürften.
Da stellt sich die Frage: Was haben die Staatsanwaltschaften nicht an dem klaren Wortlaut des §28a Abs.4 Infektionsschutzgesetz verstanden? Dort heißt es doch glasklar und unmissverständlich: „Im Rahmen der Kontaktnachverfolgung dürfen nur personenbezogene Angaben zum Zeitraum und zum Ort des Aufenthaltes erhoben werden, soweit dies zur Nachverfolgung von Kontaktpersonen zwingend notwendig ist.“ Wie kommt man bei diesem klaren Wortlaut des Gesetzes also ernsthaft auf die Idee, dass eine gesetzliche Lücke bestünde? Auf die Idee, dass der Wille des Gesetzgebers nicht erkennbar sei?
Der Landesdatenschutzbeauftragte Dieter Kugelmann ist zu Recht sauer. Ich bin es auch. „Das Vorgehen erschüttert das Vertrauen der Bürger in die Rechtmäßigkeit staatlichen Handelns und ist gerade in Zeiten einer die Gesellschaft als Ganzes herausfordernden Pandemie das völlig falsche Signal!“ Dieser Bewertung des Landesdatenschutzbeauftragten kann ich mich nur voll und ganz anschließen. Schließlich war es doch die hohe Politik, die den Bürgerinnen und Bürgern versprochen hat, dass die Datenerfassung der Kontaktnachverfolgung nur zum Zwecke des Gesundheitsschutzes erfolge. Mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident, darf ich von der Homepage der FDP, Artikel vom 1. April 2020 zitieren: Dort heißt es: „Auch in Krisenzeiten müssen die Grundpfeiler der freiheitlichen Rechtsordnung standfest bleiben. „Datenschutz und Gesundheitsschutz sind kein Widerspruch“, sagt FDP-Chef Christian Lindner. „Statt auf mehr Überwachung sollten wir vielmehr auf die Vernunft der Bürgerinnen und Bürger setzen.“
Genau solche Aussagen waren es, weshalb die Menschen die Datenerfassung in Gaststätten und Hotels akzeptierten und nicht Donald Duck, Max Mustermann oder sonstige Phantasienamen angaben. Sie haben drauf vertraut, dass Datenschutz und Gesundheitsschutz eben kein Widderspruch sind, dass der Staat es gut meint und die Datenerfassung letztendlich nur zum Zwecke der Pandemiebekämpfung erfolgt.
Tja, seit Donnerstag wissen wir, dass wir alle hinter die Fichte geführt wurden!
Dass die staatlichen Strafverfolgungsbehörden ihre eigene Lesart der Dinge entwickelt haben und entgegen des klaren Wortlauts des Gesetzes auch weiterhin der Zugriff der Staatsanwaltschaft auf Kontaktdaten möglich ist, das ist kein tragfähiger Zustand! Dies sägt an den Pfeilern des Vertrauens der Menschen in die Politik und schadet letztendlich dem gemeinsamen Ziel der Pandemiebekämpfung.
Vorgestern Abend meldete die Tagesschau:
• Schleswig-Holstein, Bremen und Brandenburg wollen Verträge mit Luca-App kündigen
• zehn weitere Bundesländer denken darüber nach
• Marco Langhof vom Verband der IT- und Multimediaindustrie in Sachsen-Anhalt: „Im Moment findet praktisch kaum noch Kontaktnachverfolgung statt. Die Gesundheitsämter sind komplett damit ausgelastet überhaupt mit den positiven Tests umzugehen, die Quarantänebescheinigungen für die unmittelbar Betroffenen auszustellen. Und deswegen entfällt im Grunde genommen die Aufgabenstellung, die durch die Luca-App erledigt werden sollte.“
Wenn dem so ist, dass praktisch kaum noch Kontaktnachverfolgung stattfindet, warum erfassen wir dann überhaupt noch die Daten? Für die Staatsanwaltschaften zum Zwecke der Strafverfolgung sicherlich nicht! Denn das wäre nichts anderes als die Vorratsdatenspeicherung durch die Hintertür!
Im Kern geht es bei der Vorratsdatenspeicherung um die Erhebung von Daten, die einen Einblick darauf ermöglichen, wann man mit wem von wo aus und in welcher Form in Kontakt getreten ist. Und auch die Datenerhebung, Datenspeicherung und Verarbeitung der Daten der Luca-App oder der schriftlichen Kontaktlisten ermöglicht die Beantwortung der Frage nach dem wer, wann und wo – und gegebenenfalls auch Rückschlüsse auf mit wem.
Bereits 2007 wurde versucht, die Vorratsdatenspeicherung gesetzlich zu verankern. Das scheiterte 2010 krachend vor dem Bundesverfassungsgericht. Die Vorratsdatenspeicherung sei laut Urteil zwar grundsätzlich denkbar. Es bedürfte aber einer dezentralen Speicherung der Daten und einer abstrakten Festlegung eines entsprechenden Straftatenkatalogs, aufgrund dessen die öffentlichen Stellen auf die Daten zugreifen dürften. Da frage ich Sie, Herr Justizminister: Wo sind denn im Infektionsschutzgesetz die schweren Straftaten spezifisch definiert, aufgrund derer die öffentlichen Stellen auf die Daten zugreifen dürfen?! Auch das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung von 2015 liegt auf Eis. Der EuGH prüft. Wenn man der Gesetzesauslegung der Staatsanwaltschaft folgt, kann‘s ja egal sein, das Trojanische Pferd mit dem Namen Infektionsschutzgesetz erledigt den Job. Das geht gar nicht! Herr Justizminister Mertin, beenden Sie den Spuk und schaffen Sie Rechtssicherheit! Im Interesse des Rechtsstaates, im Interesse der Pandemiebekämpfung und im Interesse des Datenschutzes. Sie haben es in der Hand!
Es gilt das gesprochene Wort.